Der moralische Kompass

Droht der deutschen Wirtschaft der moralische Kompass abhandenzukommen? Der Schweizer Ökonom, Migrationsforscher und ehemalige HWWI-Direktor sieht in einem Kommentar für die WELT eine bedenkliche Entwicklung im Umgang mit Rechtsnormen und Rechtstreue.


Der moralische Kompass

Jüngste Umfragen zeigen, dass in deutschen Unternehmen so viel betrogen und bestochen wird wie seit Langem nicht. Im jüngsten EY Fraud Survey, in dem Vorstände und verantwortliche Mitarbeiter in Rechnungswesen und Revision in Unternehmen befragt wurden, gaben 43 Prozent der Teilnehmer an, dass Bestechung und Korruption hierzulande weit verbreitet sind. Der westeuropäische Schnitt liegt bei 33 Prozent und ist - im Gegensatz zu Deutschland - überdies rückläufig.

Deutschland nicht Spitze bei Rechtstreue und Rechtsbewusstsein

Auch bei der Bereitschaft der Mitarbeiter zu betrügerischem Handeln nimmt Deutschland keine besonders rühmliche Stellung ein. 23 Prozent der Mitarbeiter - fast jeder Vierte - wäre für persönliche Karriere-Vorteile bereit, sich selbst unethisch zu verhalten oder unethisches Verhalten von Geschäftspartnern oder Mitarbeitern hinzunehmen. Nur in Russland, der Ukraine und der Türkei ist man noch "skrupelloser". Der westeuropäische Schnitt liegt bei 14 Prozent, deutlich unter dem deutschen Niveau. Besonders vorbildlich sind die Schweiz, Dänemark und die Niederlande mit Täuschungsbereitschaften unter zehn Prozent. 

Immerhin liegt Deutschland bei zwei relevanten Indizes noch recht gut im Rennen: im Korruptionsindex 2016 von Transparency International auf Platz zehn, in der "Doing Business 2017"-Rangliste der Weltbank - einem Maß für die Rechtssicherheit von Geschäften - auf Platz 17. In beiden Rankings nehmen jeweils die skandinavischen Länder, Singapur und Neuseeland die vordersten Plätze ein. "Spitze" sind wir keineswegs. 

Argentinien als warnendes Beispiel 

Wohin ein laxer Umgang mit rechtlichen Regeln und unethisches Verhalten führen können, macht Thomas Straubhaar drastisch am Beispiel Argentinien deutlich. Noch vor hundert Jahren besaß das südamerikanische Land ein höheres Wohlstandsniveau als Deutschland. Das blieb noch bis kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs so, als ein argentinischer Durchschnitts-Haushalt über doppelt so viel Kaufkraft verfügte wie ein deutscher. Inzwischen haben sich die Verhältnisse genau umgekehrt. 

Als eine wesentliche Ursache für den Abstieg Argentiniens identifiziert Straubhaar die grassierende Vetternwirtschaft und Korruption im Land, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Vertrauen in die institutionelle Stabilität und verlässliche Rahmenbedingungen nachhaltig erschüttert habe. Bei den beiden zuvor genannten Indizes liegt Argentinien heute auf Platz 95 bzw. 116. 

Insofern sieht Straubhaar Argentinien als Warnung für uns. Wo Rechtstreue nachlasse und unethische Verhaltensweisen "gesellschaftsfähig" würden, drohe über kurz oder lang der wirtschaftliche Niedergang. Rechtssicherheit und eine unabhängige Justiz seien für die Funktionsfähigkeit und das Wachstum der Wirtschaft unerlässlich.


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