Deutschland: Geringe Lohnerhöhungen stärken Wettbewerbsfähigkeit und fördern Deflation

Die Lohnerhöhungen in Deutschland sind seit Jahren gering bis äußerst moderat. Die deutsche Wirtschaft profitiert in ihrer Wettbewerbsfähigkeit davon - die Konkurrenz hat sie nicht zuletzt durch die Bescheidenheit der Arbeitnehmer weit hinter sich gelassen.


Deutschland

Im Vorfeld der G20-Konferenz im australischen Sydney fand der Internationale Währungsfonds (IWF) für Deutschland kritische Worte. Die Bundesrepublik solle endlich etwas tun, um ihren kontinuierlich hohen Leistungsbilanzüberschuss zu reduzieren sowie ihre Binnennachfrage zu stärken. In der Vergangenheit hatte Deutschland solche Ansinnen grundsätzlich abschlägig beschieden. Bei der anschließenden Pressekonferenz überraschte Bundesbankpräsident Jens Weidmann jedoch mit einigen unerwarteten Äußerungen. 

Akzeptable Lohnerhöhungen begrenzen Risiko der Deflation

Weidmann befand, dass die derzeit größeren Lohnerhöhungen in Deutschland dazu beitragen, die Deflationsrisiken in der gesamten Euro-Zone zu mindern. Damit bestätigte er indirekt den Wunsch des IFW: Stärkung des Privatkonsums durch Lohnerhöhungen bringt die Binnennachfrage voran. Auf lange Sicht dürfte dies die gerade wieder kritisierten deutschen Exporterfolge relativieren. Tatsächlich ist es den Arbeitnehmern in Deutschland 2012 und 2013 gelungen, den von der Lohnformel informell definierten Entscheidungsspielraum zu überschreiten. Für die neuen Tarifabschlüsse erwartet Weidmann ein Plus von drei Prozent.

Die Lohnformel besagt, dass der Tarifanstieg die Inflationsrate sowie den Produktivitätszuwachs widerspiegeln sollte. Die Summe der Inflationsprognose von zwei Prozent und der über zehn Jahre errechnete Mittelwert des Produktivitätswachstums von einem Prozent ergeben für 2014 tatsächlich diese drei Prozent.  Der Tarif-Experte der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Reinhard Bispinck, warnt im Übrigen davor, eine möglicherweise niedrigere reale Inflation zur Grundlage der Tarifverhandlungen zu machen, da die dies die deflationären Tendenzen stützen würde. Die Tendenz gehe aus diesem Grunde dahin, das Verhandlungsziel an der Zielinflationsrate der EZB von bis zu zwei Prozent sowie der Trendproduktivität auszurichten. Daraus ergeben sich Lohnerhöhungen von 3.0 bis 3,5 Prozent. In Deutschland folgen derzeit verschiedene Gewerkschaften dieser Regel oder überschreiten ihre Vorgaben sogar beträchtlich. Die IG BCE hat für die Chemieindustrie erst kürzlich Lohnerhöhungen von 3,7 Prozent ausgehandelt. Die Gewerkschaft Verdi formuliert für den öffentlichen Dienst ein Verhandlungsziel von sieben Prozent, das Bauhauptgewerbe strebt Lohnerhöhungen in gleichem Umfang an. Die IG Metall wird ihre Tarife erst zum Jahresende neu verhandeln, hat jedoch bereits wissen lassen, dass sie mit einer "vernünftigen Forderung" in die Verhandlungen gehe, die auf der Lohnforme basiere.

Dezentralisierung der Lohnfindung in Deutschland - ein europäisches Modell?

Das Problem dabei: Auch in den vergangenen Jahren haben die Gewerkschaften in Deutschland die Lohnformel "vernünftig" angewendet - mit dem Ergebnis, das der vorhandene Verteilungsspielraum für Lohnerhöhungen unterschritten worden. Seit Mitte der 1990er Jahre blieben Lohnerhöhungen fast ausnahmslos unterhalb der Lohn-Norm - und zwar unabhängig davon, welche Berechnungsgrundlage für diese angewendet wurde. In den 2000er Jahren hat sich dabei laut Bispinck die Deregulierung des Arbeitsmarktes ausgewirkt: Die Hartz-Reformen, die Zunahme von Mini-Jobs sowie die neuen, lockeren Regelungen für Leiharbeit haben das statistische Lohnniveau in Deutschland abgesenkt. Zudem habe die formale Tarifbindung in Deutschland in den letzten 15 Jahren deutlich abgenommen.

Ende der 1990er Jahre lag sie noch bei 75 Prozent, heute sind nur noch 60 Prozent aller Arbeitnehmer durch Tarifverträge abgesichert. Der Experte sieht "Erosionstendenzen" schon seit der Rezession des Jahres 1993 als gegeben an, als die Arbeitnehmervertretungen zum ersten Mal auf nominale Lohnbestandteile verzichtet hatten.

Der Ökonomie-Professor Christian Dustmann vom University College London hat dagegen einen deutlich positiveren Blick auf die geringen Lohnerhöhungen in Deutschland. Aus seiner Sicht hat der Lohnverzicht seit Mitte der 1990er Jahre dafür gesorgt, dass die deutsche Wirtschaft heute preislich wettbewerbsfähig ist. Deutschland habe seitdem eine "beispiellose Dezentralisierung des Lohnfindungsprozesses" erlebt: Dem schrumpfenden Einfluss der Gewerkschaften stehe durch die starke Nutzung von Öffnungsklauseln der Tarifverträge ein wachsendes Mitspracherecht von Betriebsräten auf Lohnerhöhungen gegenüber. Dustmann schreibt die starke wirtschaftliche Position Deutschlands nicht den Hartz-Reformen, sondern diesen Dezentralisierungsprozessen zu und empfiehlt anderen europäischen Ländern entsprechende Reformen. 

"Inflation" und "Lohnsteigerung" in der Finanzplanung

Im Rahmen einer Finanzplanung ist es von grundlegender Bedeutung, sich Gedanken zu machen, welche Annahmen für Inflation sowie zukünftige Einkommenssteigerungen angesetzt werden sollen. So zeigt die historische Entwicklung, dass, die Löhne im Durchschnitt seit 1997 nur um 1,5% p.a. gestiegen sind, während die durchschnittliche Infaltionsrate bei 2,5 % lag (Quelle: Daten des Bundesamtes für Statisitik). Durch diesen Effekt entwickeln sich Einnahmen und Ausgaben über lange Zeiträume auseinander, was im Rahmen einer Altersvorsorgeplanung berücksichtigt werden muss und durch entsrechende Sparvorgänge ausgeglichen werden sollte. 


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